Einen Blick hinter die Kulissen des Tegernseer Tal Verlags erlaubt das folgende Interview.
Es erschien zeitgleich in den Bürgerboten der Gemeinden Rottach-Egern und Kreuth im Januar 2021.


Die TEGERNSEER TAL Hefte:
Ein Glücksfall für die Region und die Leser

Die Zeitschrift TEGERNSEER TAL ist eine Institution - bei uns im Tal und darüber hinaus. 1953 erschien die erste Ausgabe, aktuell arbeitet die Redaktion an der Nummer 174, im Herbst steht mit der 175 ein Jubiläum an. Dieses lange Bestehen in einem schnelllebigen Geschäft wie dem Zeitungswesen ist das eine. Was das „Talheft“, wie es unter Kennern heißt, aber tatsächlich einzigartig macht, sind seine inhaltlichen Themen und die hochwertige Aufmachung. Dahinter steht ein Team, das mindestens so besonders ist wie die Hefte selbst. Wir haben mit der „Anführerin“ gesprochen: Annette Lehmeier, Chefredakteurin seit 2016.

Annette Lehmeier übernahm die Chefredaktion des TEGERNSEER TAL Verlags im Januar 2016

Frau Lehmeier, herzlichen Glückwunsch zu Ihrem „Fünfjährigen“ als Chefredakteurin! Mögen Sie uns erzählen, wie Sie zum Talheft kamen?

Leider nicht so, wie man es sich wünscht. Im Dezember 2015 starb nach kurzer schwerer Krankheit für uns alle überraschend unser langjähriger Chefredakteur Dr. Michael Heim. Jeder, der im Tal Zeitung liest, kannte ihn – als „Seegeist“ in der Tegernseer Zeitung oder eben aus den TEGERNSEER TAL Heften. Bevor er ins Krankenhaus ging, hatte er mir die Unterlagen für die damals anstehende Ausgabe 163 zugeschickt. Ich dachte, ich bewahre das auf und gebe es ihm dann halt zurück. Verlags-Geschäftsführer Karl Roßkopf ist dann in Abstimmung mit unseren Aufsichtsratsmitgliedern wegen der Nachfolge an mich herangetreten. Und schon waren wir mittendrin in der Produktion.

Sie haben einmal gesagt, abzulehnen wäre schon „aus genetischen Gründen“ unmöglich gewesen.

Dr. Michael Heim (l.) und Hans Sollacher waren als
"Schreiber in Diensten des Tals" ebenso fachkundig wie kritisch.
Bildquelle. Archiv Tegernseer Zeitung

Das stimmt! Ich bin ja die Tochter von Hans Sollacher. Im Hauptberuf war er Geschäftsleiter hier in der Gemeinde Rottach-Egern. Daneben war er aber immer auch ein Schreiber in Diensten des Tals: Viele Jahre trug er selbst Verantwortung als Schriftleiter beim Talverlag, schrieb für die Talhefte, für die Tegernseer Zeitung und unzählige andere Publikationen. Dabei war er oft auch Mahner und Streiter für das Wohl und die Zukunft unserer Region. Das Schreiben, das Aufmerksam-Sein, der kritisch-liebevolle Blick auf die Heimat, das war immer ein Thema bei uns daheim. Insofern begleitet mich das Heft schon mein ganzes Leben lang, und ich hatte immer einen mordsmäßigen Respekt davor. In der Redaktion des Talheftes habe ich einige Idole meiner Jugend wiedergetroffen.

Sie haben Ihr Redakteurs-Handwerk beim „Merkur“ gelernt, Ihr erster Arbeitsplatz war die Tegernseer Zeitung in der Rosenstraße, es folgten Studium (Politische Wissenschaften und Geschichte) und weitere berufliche Stationen. Seit 2002 sind Sie als Journalistin und Autorin selbstständig. U.a. verantworteten Sie als Gründungsredakteurin die ersten zehn Jahre der damals neuen „Seeseiten“. Sie haben das aktuelle Standardbuchwerk über das Tal („Der Tegernsee“, Kiebitz-Verlag 2014) konzipiert und mitherausgegeben und als Redakteurin inzwischen sage und schreibe 100 Ausgaben der Bräustüberl-Zeitung vorgelegt. Ihre ersten Artikel für die Talhefte haben Sie schon in den 1990-er Jahren geschrieben. Was ist das Besondere am TEGERNSEER TAL Heft?

Da muss man zuerst auf das Tal selbst schauen. Unsere Region ist ja nicht nur „schön“, sondern sie verfügt über eine solche Fülle an Kultur und Geschichte, an Natur und bemerkenswerten menschlichen Persönlichkeiten, dass man es angesichts des geographisch doch eher kleinen Gebiets kaum glauben kann.

Mit den Talheften gibt es eine Zeitschrift, die seit Jahrzehnten von dieser Besonderheit und von dieser Vielfalt erzählt – indem sie den Blick auf Wissenswertes lenkt, neue Erkenntnisse teilt und Orientierung bietet, an Vergessenes erinnert und Aktuelles begleitet, Zusammenhänge her- und Menschen vorstellt, Denkanstöße gibt.  Und das dank unserer Redakteure und Redakteurinnen auf dem Niveau eines Fachmagazins. So wurde die Heftreihe zu dem, was Bürgermeister Christian Köck das „kulturelle Gedächtnis des Tegernseer Tals“ nennt. Dass es so etwas gibt - eine Zeitschrift, die sich einer Region in einer Weise widmet, wie es das TEGERNSEER TAL mit dem Tal tut - ist weit und breit einzigartig und ein ganz großes Glück für die Region und alle, die sich für sie interessieren. In der Redaktion erzählen wir uns gern davon, dass Verlagsgründer Sebastian Daimer in den 1950-er Jahren offenbar Sorge hatte, der Zeitschrift könnten die Themen ausgehen. Da kann ich Entwarnung geben, wir haben noch lang nicht auserzählt, sondern staunen selbst über die Themenlisten, die wir bei unseren Treffen zusammentragen.

Wie schafft man das?

Mit einem Redaktions- und Autorenteam, das man gar nicht genug loben kann, weil es ebenfalls etwas ganz Besonderes ist. Da ist zum einen die Tatsache, dass das Talheft nie von hauptberuflichen Journalisten gemacht wurde. Die gab es auch, aber die „mehran“ waren und sind zuallererst Experten mit talspezifischen Fachkenntnissen, ob es nun um Klostergeschichte und Wittelsbacher, Tracht und Musik, Landwirtschaft, Baukultur, Sprache oder Tier-, Berg- und Pflanzenwelt geht. Die notwendige „gewisse Fertigkeit in Schreibarbeiten“, wie es mein Vater augenzwinkernd nannte, fand sich im Lauf der Zeit von selber ein.
Zum festen Redaktionsstamm gehören aktuell (streng alphabetisch!) R. Peter Bachhuber, Joe Bogner, Beni Eisenburg, Dr. Roland Götz, Susanne Heim, Schorsch Hofmann, Martin Köck, Hans-Herbert Perlinger, Marlene Rösch, Sophie Stadler, Sonja Still und Ingrid Versen. Dazu kommt ein Kreis ebenso kluger freier Autoren und Fotografen sowie Künstler wie etwa der unvergleichliche Hans Reiser.

Seltes Bilddokument "in eigener Sache": Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Mitstreiter von Talheft und Talverlag bei einem spontanen Fototermin im Frühjahr 2016. Hintere Reihe (v.l.): Christian Köck, Martin Köck, R. Peter Bachhuber, Dr. Roland Götz, Beni Eisenburg, Franz Pütz. Mittlere Reihe (v.l.): Ingrid Versen, Karl Roßkopf, Schorsch Hofmann, Marlene Rösch, Annette Lehmeier, Hans-Herbert Perlinger. Vordere Reihe (v.l.): Andreas Bachhuber,
Joe Bogner, Susanne Heim, Patrick Mautry.

 

Und jetzt stellen Sie sich diese Runde vor, wenn einer nach dem anderen bei der Redaktionskonferenz zur Tür hereinkommt, Ideen und „Aufreger“ unterm Arm, wie da „dischkriert“ wird, nachgedacht und nachgefragt, bis sich gute Ansätze und Herangehensweisen ergeben und die Themen rund und griffig werden. Für mich ist jedes Treffen (von denen es in 2020 aus bekannten Gründen keines in großer Runde gab) ein in jeder Hinsicht freudiges und erhellendes Ereignis!
Wir stammen aus unterschiedlichen Generationen - fast 60 Jahre trennen die Jüngsten von unserem Senior Schorsch Hofmann –, haben einen unterschiedlichen Hintergrund, bringen verschiedenste Ausbildungen und Erfahrungen mit, aber alle brennen für das Tegernseer Tal. Auch hier gilt übrigens: Je mehr man darüber weiß, desto mehr weiß man auch um seine Zerbrechlichkeit.

Was ist Ihnen als Chefredakteurin persönlich wichtig? Welche Schwerpunkte haben Sie innerhalb der letzten fünf Jahre gesetzt?

Mit dem Historiker Michael Heim, seinem Wissensschatz und Forscherdrang ist uns eine Bibliothek weggebrochen. Das lässt sich weder menschlich noch fachlich ersetzen, ebenso wenig wie der Verlust meines Vaters im Jahr 2003 oder der vieler früherer Redaktionsmitglieder. Andererseits hat eine bald 70 Jahre existierende Publikation naturgemäß Erfahrung mit Generationswechseln.
Ich habe in meiner Antrittsrede gesagt, dass ich verstärkt aktuelle Fragestellungen aufgreifen will und dass ich im Talheft gern mehr Artikel über Menschen lesen würde, die noch leben. Am wichtigsten ist mir eine gute Bandbreite an Themen, so dass möglichst viele Leser etwas finden, das sie interessiert und fesselt. Schön ist es, wenn eine Dramaturgie gelingt, ein Rhythmus aus Themen, Text und Fotos. Und ich genieße es, dass das TEGERNSEER TAL anders erzählen kann als andere Medien: Weil unsere Redakteure und Fachautoren ein anderes Hintergrundwissen und andere Quellen haben und weil wir – da wir nur zweimal jährlich erscheinen – mehr Zeit zum Recherchieren und mehr Platz zum Schreiben haben.
Zu den Besonderheiten der jüngeren Zeit gehören sicher unsere allererste Lesung, ein „Best of“ aus sechs Jahrzehnten im Rahmen der Tegernseer Woche 2019; und das Sonderheft „Kunst und Künstler 2019/2020“, erschienen zur Tegernseer Kunstausstellung, ebenfalls in 2019.

Seit 1996 war der ebenso unermüdliche wie unverwechselbare Karl Roßkopf, genannt „Charly“, der Geschäftsführer des Tegernseer Tal Verlags. Mitte vergangenen Jahres ist er in den Ruhestand getreten, und Sie haben zusätzlich zur Redaktionsleitung auch die Geschäftsführung übernommen. In der „Ära Roßkopf“ ging es mit dem Verlag stetig bergauf. Charly Roßkopf selbst war eine Institution. Wie schultern Sie die Doppelfunktion?

Mit allem Respekt und grenzenloser Zuversicht (lacht). Nein im Ernst: Mit Charly kann sich niemand messen, er ist in jeder Hinsicht ein Unikat. Man darf sich den Talverlag aber nicht wie ein großes Verlagshaus mit vielen Abteilungen und Mitarbeitern vorstellen. Bei uns ist alles sehr übersichtlich, da ist es normal, dass man vieles gemeinsam erledigt. Charly hat mich gut eingearbeitet, und unser Kollege Hans Lusser, der sich um Abos, Vertrieb und Buchhaltung kümmert, ist eh ein alter Hase.
Eine Premiere haben wir mit unserer aktuellen Ausgabe Nr. 173 gewagt: Erstmals in der Geschichte des Talverlags ist ein Heft nicht nur in den Geschäften und Tourist-Infos im Tal erhältlich und natürlich als Abo oder auf Bestellung, sondern ging über den Großhandel in ausgewählte Geschäfte in München und die Nachbarlandkreise. Das steigert Reichweite und Bekanntheitsgrad und freut daher auch unsere Inserenten. Noch haben wir nicht alle Zahlen auf dem Tisch, aber es schaut nicht schlecht aus. Das „Tal“ kommt an. Obwohl oder gerade weil es ein ganz besonderes Heft ist…

Frau Lehmeier, ich bedanke mich sehr herzlich für das ausführliche Interview und wünsche lhnen, Ihrer Redaktion und dem Verlag alles Gute.

Ingrid Versen