Zeitgeschehen
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Vogelfrei im Schutzgebiet

Hatz auf die Gams

»Auf den Spuren der zerschossenen Strukturen« gelangt man sehr schnell in das Dickicht einer Doktrin namens »Wald vor Wild«: Wo die Forstadministration Bergwälder zu »Schutzgebieten« erklärt, wird das Gamswild vogelfrei. Die Begrenzung der Schusszeit auf den Zeitraum 1. August bis 15. Dezember gilt dann nicht mehr, auf die Gams darf das ganze Jahr über geschossen werden – mit der Folge, dass die Altersstrukturen dieser Wild- Population in sich zusammenbrechen.

»Wenn Ihr so weitermacht's, wird die Gams bei Euch komplett abstürzen«, sagte – mit der gebührenden Distanz des Gastredners – der Wildbiologe der Landesregierung von Vorarlberg, Hubert Schatz, bei der Hegeschau 2015 der Kreisgruppe Miesbach des Bayerischen Jagdverbandes. Die Jäger dankten es ihm mit Applaus, denn sie geraten ja selbst unter Beschuss, wenn sie die amtlich vorgegebenen Abschusszahlen nicht erfüllen.

Gämse mit Kitz

Schutzwald, welch ein erhabenes Wort, das leider allzu oft für administrative Borniertheit steht, wenn Schutzwald dort hochgezogen werden soll, wo es ihn nie gegeben hat. Ein augenscheinliches Beispiel (weil von der Bundesstraße her einsehbar) ist beispielsweise das Grüneck in den Kreuther Bergen, eine steil nach Süden abfallende Bergflanke gegenüber von Wildbad Kreuth: Humusschicht nicht einmal eine Handbreit stark, seit eh und je kein natürlicher Baumbestand, da felsiger Untergrund; schon der Name »Grüneck« deutet auf Bergwiesen hin, also auf Grasbewuchs. Das Grüneck wäre somit – wegen Südlage, Sonneneinstrahlung und Vegetation – im Winter das ideale Einstandsgebiet für die Gams, die kein Futter annimmt, sich hier aber unter dem Schnee das »Lahnagras «, Moos und Flechten freischarren könnte, statt weiter unten Bäume verbeißen zu müssen. So ungefähr halt, wie sich der liebe Gott des Nebeneinander von Wild und Wald vorgestellt hatte...

Nun gibt es aber im bayerischen Landwirtschaftsministerium und bei den Bayerischen Staatsforsten Schreibtisch- Strategen, die seit Jahren glauben, sie müssten dem Grüneck einen Schutzwald aufzwingen, um im Talgrund die Bundesstraße zum Achenpass vor Lawinenabgängen zu schützen – ein feines Argument, zur Beruhigung der Steuerzahler, die nun schon seit Jahrzehnten am Grüneck den blanken Planungswahnsinn finanzieren: Immer wieder werden, zusätzlich zu manueller Lawinenverbauung, dort oben Fichtenschösslinge gepflanzt. Die kümmern dann vor sich hin, verklumpen mit dem Schnee und fahren (wobei sie noch die fragile Humusschicht aufreißen und mitnehmen) irgendwann mit einem Schneebrett zu Tal. Auf die Idee, unten am »Lawinenstrich« Grüneck, das wären zwei- oder dreihundert Meter, die Straße mit einer Lawinengalerie zu überdachen, wie es die Tiroler praktizieren, mit Erfolg und kostengünstig – auf diese Idee würde man im bayerischen Landwirtschaftsministerium auch kommen, aber das wäre dann Sache des Verkehrsministeriums und darf somit wohl nicht sein.

Das Grüneck ist, bei Gott, nicht das einzige Beispiel für misslungene »Schutzwald-Ansiedlung« oder »Sanierung « in den Kreuther und Tegernseer Bergen, das Problem beginnt ja schon mit dem planerischen Irrsinn, Pflanzzeiten für die Schösslinge in sommerliche Hitzetage, manchmal sogar in die »Hundstage« direkt, zu verlegen, weil dann die freiwilligen Helfer Schulferien haben – das sind dann junge Menschen guten Willens, deren Idealismus auch noch missbraucht wird. Aber zurück zur Hatz auf die Gams!

Von Glashütte beginnend, bis hinüber in das Rottachtal wurden in den Südlagen so ziemlich alle winterlichen Einstandsgebiete des Gamswildes zu Sanierungsgebieten erklärt und dürfen somit »gamsfrei« gehalten werden. Das gilt für den Sonnberg, besagtes Grüneck, die gesamte Langenau und östlich von Rottach dann für das Areal vom Kühzagl am Beginn des Bodenschneidmassivs (auf alten Flurkarten erscheint hier noch der Peißenberg, Sterbeort des Jennerwein) bis hinauf in die Valepp.

Gamsrudel auf einem Geröllhang
Fotos: Georg Hofmann

Als ein Jäger bei einer Begehung einen der Münchner Administratoren fragte, wo dann noch Platz für die Gams bleibe, erhielt er zur Antwort: »Ja, am Schinder halt!« Das Schindermassiv, das hier dem Gamswild als Refugium zugewiesen würde, zählt zu den schneereichsten Gebieten in unseren Bergen, lockt immer mehr »Trend-Skifahrer« an – und steht somit für ein weiteres Überlebensproblem des Gamswildes: Für die Bestände, die die Kugel verschont, gibt es kaum noch Rückzugsgebiete. Im Sommer sind es die Mountainbiker, neuerdings auch noch mit Elektroantrieb, die geradezu obsessiv auch noch die Gipfelregionen heimsuchen, dann die Drachenflieger, die ihre Adler-Konturen in den Himmel zeichnen und das Wild aufschrecken, demnächst kommen wohl noch die Drohnen-Hobbyflieger hinzu, im Winter dann die Tourengeher, Langläufer auf den Trassen der Forststraßen, die Schneeschuhwanderer, Snowboarder und Tiefschneefahrer. Gamswild, auf härteste Umweltbedingungen in den Hochgebirgsregionen eingestellt, kann im Winter seinen Energieverbrauch auf dreißig Prozent reduzieren, ruhige Einstände vorausgesetzt; wenn es hochschreckt und fliehen muss, explodiert der Energiebedarf geradezu. Zwei oder drei Fluchten, heißt es in der Jagdliteratur, bringen dem Tier den Tod.

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