Geschichte
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Die exorbitanten Bodenrichtwerte haben begonnen, die Bevölkerungsstruktur im Tal zu verändern

Heimat muss man sich leisten können

Sperrige Werte haben im Tegernseer Tal gewissermaßen Tradition. Jahrzehnte lang beherrschten die Einwohnergleichwerte die öffentliche Diskussion. Jetzt sind es die Bodenrichtwerte, die Bürger und Bauwillige umtreiben. Den erstgenannten haben Kritiker vorgeworfen, sie hätten das Tal unter einer Käseglocke gehalten. Die zweitgenannten könnten nun Land und Leute für immer verändern.

Die Einwohnergleichwerte – kurz EGW – waren 35 Jahre lang das Schlüsselwort für die Entwicklung des Tegernseer Tals. Wer bauen wollte, egal ob privater Bauherr, Unternehmer oder Kommune, brauchte nicht nur Grund und Geld, sondern auch EGW. Und die waren rar. Bis in das Jahr 2000 hinein bestanden in allen fünf Talgemeinden Wartelisten für Bauwillige, weil die Kläranlage als ausgelastet galt. Dass man nur bauen konnte, wenn in der entsprechenden Gemeinde EGW freiwurden, war für Betroffene oft schwer zu ertragen. Unterm Strich herrschte im Tegernseer Tal ein »Baustopp«. Den hielten viele für einen Fluch, mindestens ebenso viele aber für einen Segen, den sie gerade jetzt wieder herbeiwünschen.

Im Jahr 2000 wurde die alte EGW-Satzung gekippt und durch eine neue ersetzt. Erklärtes Ziel: Nicht mehr die Einwohnergleichwerte, sondern die Politik sollte die Bau-Entwicklung im Tal steuern. Kritiker warnten vor einem nur schwer zu kontrollierenden Bauboom, Befürworter freuten sich, dass im Tal »endlich etwas vorwärts geht«. In gewisser Weise haben beide Recht behalten.

Heute ist das Land um den Tegernsee als Wohnund Lebensraum begehrt wie nie zuvor. Zugleich sind Einwohnergleichwerte kein limitierender Faktor mehr. Um zu bauen, braucht man nur noch das, was man überall braucht: Geld und ein geeignetes Grundstück. Die Flächen sind begrenzt, die Nachfrage übersteigt das Angebot um ein Vielfaches. Das macht Baugrundstücke immer teurer. Doch Geld ist genug da – wenn auch nicht unbedingt bei denen, die schon immer hier daheim waren. Ihnen enteilen die Preise.

Dass man sich als normaler Arbeitnehmer im Heimatort nie im Leben eine eigene Immobilie wird leisten können, ist längst akzeptierte Tatsache. Einigermaßen neu und erschreckend ist für viele dagegen die Erkenntnis, dass man sich nicht nur den Kauf einer Immobilie nicht leisten kann, sondern auch das Erben. Schuld daran sind die sogenannten Bodenrichtwerte, sprich: die extrem gestiegenen Preise für Grund und Boden, in Verbindung mit dem geltenden Erbschaftssteuerrecht. Die Bodenrichtwerte sind die wichtige Orientierung, wenn es darum geht, einen Kauf- oder Verkaufspreis für ein Grundstück zu ermitteln. Und sie bestimmen den Wert des Grundstücks im Erbfall (s. Kasten).

Ein Grund, warum viele die Bodenrichtwerte bisher nicht auf dem Schirm hatten, mag damit zu tun haben, dass sie erst seit 1996 für die Wertermittlung im Erbfall herangezogen werden; bis dahin wurde mit dem deutlich niedrigeren Einheitswert gerechnet. Ein zweiter wichtiger Grund ist, dass das Thema Vererben erst jetzt richtig Fahrt aufnimmt. Wie der Rest der Republik erlebt das Tal einen Generationswechsel. Von denjenigen, die während der Wirtschaftswunderjahre bauten, geht der Besitz jetzt an die Kinder über. Nicht wenige künftige Erblasser und Erben staunen, mit welchen Summen sie plötzlich zu tun haben.

Bodenrichtwerte

Der Bodenrichtwert ist ein Wert für einen Quadratmeter unbebauten Bodens. Er wird zur Wertermittlung von Immobilien herangezogen und dient seit dem 1. Januar 1996 auch als Grundlage für die Berechnung von Erbschaft- und Schenkungsteuer.

Der Gutachterausschuss für Grundstückswerte im Landkreis Miesbach ermittelt die Bodenrichtwerte zum Ende jedes zweiten Kalenderjahres (§ 196 BauGB). Er greift dafür auf die amtlichen Kaufpreissammlungen zurück, also die Preise, die im entsprechenden Zeitraum bei Grundstücks- und Immobilienverkäufen in der Region erzielt wurden. Daraus entstehen Angaben für sogenannte Bodenrichtwertzonen, in denen einheitliche Wertverhältnisse herrschen. Bodenrichtwertzonen können bestimmte Straßen, Straßenzüge oder ganze Stadtteile und Ortschaften umfassen.

Da der Bodenrichtwert nur ein Durchschnittswert aus einer Vielzahl von Grundstücksverkäufen ist, muss der Verkehrswert eines einzelnen Grundstückes anhand der Besonderheiten des Bewertungsobjektes geschätzt werden. Wertbeeinflussende Faktoren sind zum Beispiel Grundstücksgröße und –form, Bebauung, bebaubare Fläche und Bebauungsvorschriften, Lage (Infrastruktur, Versorgungsumfeld, Nachbarschaft), Art der Bepflanzung, Bodeneigenschaften oder Erschließungsgrad.

Auskünfte über Bodenrichtwerte können in Bayern gegen Gebühr bei den Geschäftsstellen der Gutachterausschüsse erworben werden. Da die Bodenrichtwerte auch in digitaler Form vorliegen, können sie auch über das Portal www.bodenrichtwerte.bayern.debezogen werden.

»Da waren viele Leute, die wussten gar nicht, dass sie Millionäre sind«, fasst Josef Bogner zusammen, was er und Mitinitiator Andreas Niedermaier bei ihren beiden Veranstaltungen zum Thema Bodenrichtwerte im Herbst 2017 erlebt haben. Die beiden Rottacher und ihr Fachreferent Dipl. Kfm. Hans Erhard, Steuerberater und vereidigter Buchprüfer (vBp), haben ihre Mit - bürger aufgeschreckt. Denn: Es mag schön sein zu erfahren, dass das vom Opa gebaute und von den Eltern erhaltene Häusl mit Garten, in dem man als Kind Räuber und Schandi gespielt hat, – dass dieser Besitz Millionen wert ist. Aber eben nur so lange, bis das Finanzamt eine Erbschaftssteuer ausrechnet, die man nie und nimmer bezahlen kann. Im von Hans Erhard vorgeführten Musterbeispiel schraubt sich der Wert eines 1.000 Quadratmeter-Grundstücks in Seenähe mit Häusl aus den 1950-er Jahren auf 2,974 Millionen Euro. Zieht man den Freibetrag von 400.000 Euro ab, haben Sohn oder Tochter rund 489.000 Euro an Erbschaftssteuer zu bezahlen. Dafür müsste ein Angestellter mit einem Nettogehalt von 2.200 Euro 18 ½ Jahre lang seinen kompletten Lohn aufwenden. Mit anderen Worten: Es geht nicht.

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