Nun hat die Vorsehung dem Tal und dem Landkreis zumindest ein kleines Wunder in Aussicht gestellt: Die neue bayerische Umweltministerin Ulrike Scharf erkennt (anders als ihre Vorgänger) die Sorgen der Bürgermeister aus den betroffenen Gemeinden an und empfahl im Januar 2015 dem Miesbacher Landratsamt, die Erweiterung des Schutzgebietes im Mangfalltal einer »nochmaligen Prüfung und Klärung« zu unterziehen – und nicht nur das: Miesbach soll nach Aufforderung des Ministeriums auch den »Status der Altrechte für die Wassergewinnung der Stadtwerke München« auf den Prüfstand stellen – das heißt, irgendwann und irgendwie müsste München auch die fiktionalen »Altrechte « vorweisen, deren Gültigkeit die Regierung von Oberbayern als Aufsichtsbehörde immer wieder bestätigt hat, ohne auch nur einen Beleg für ihre Existenz gesehen zu haben.
Aber letztlich geht es gar nicht mehr um historische Auslegungen, sondern um die aktuelle und elementare Frage: Darf eine Kommune, hier also die Stadt München, durch Ausweisung von Bauland ungehemmten Zuzug provozieren, ohne eigene Wasservorkommen nachweisen zu können: Sie bezieht achtzig Prozent ihres Bedarfs, das sind täglich 260 Millionen Liter, aus dem Mangfalltal, zwanzig Prozent gegenwärtig noch aus dem Loisachtal (Konzessions-Verlängerung offen) und aus eigenen Tiefbrunnen in der Schotterebene, etwa bei Arget oder Trudering, fünf Prozent bei Spitzenbedarf oder in Notzeiten. Auf die kürzeste Formel gebracht: Kostenloses Wasser aus fremden Quellen schafft in München die Voraussetzung für einen schwindelerregenden Immobilienboom, für Wertschöpfung im Milliardenbereich.
Dies geht einher mit der kalten Enteignung von Bauern und Hauseigentümern im Umland: Wen auch immer die Stadt München mit ihren Wasserschutzzonen überzieht, sein Besitz sinkt auf den »Immobilienwert Null«. Handwerker dürfen ihre Werkstätten nicht erweitern, Bauern sind nicht mehr Herr auf ihren Höfen, die Düngung ihrer Felder wird vorgeschrieben und eingeschränkt, Umbauten in Hof und Stallungen sind verboten, nicht einmal Ferienwohnungen, die Bauernfamilien das wirtschaftliche Überleben sichern würden, sind erlaubt. Eine bäuerliche Kulturlandschaft wird so zum Reservat, die Jungen wandern ab – und das zwangsläufig und fatalerweise zumeist in die Stadt. Sogar die Kommunen werden in ihrer Planungshoheit eigeschränkt, gleichfalls ein Wertverlust. Dass beispielsweise die Stadt München, über sechzig Kilometer Luftlinie hinweg, gegen das Gewerbegebiet Miesbach-Nord interveniert, während die Kreisstadt Miesbach kein Veto gegen die Wasserentnahme aus ihrem Schlierachtal und aus der Mangfall für die Münchner »Trabantenstadt Freiham« einlegen kann, dieses Ungleichgewicht bedürfte – als Präzedenzfall und somit wegweisend für alle Kommunen – höchstrichterlicher Klärung, vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof hinauf zum Europäischen Gerichtshof in Luxemburg.
Den Anstoß zu diesem Instanzenweg könnte ein David namens Wolfgang Rzehak geben, wenn er nicht unterschreibt und dem Goliath München, der biblische Vergleich sei gestattet, eine leere Namenszeile entgegenschleudert. Die Stadt müsste klagen, der Miesbacher Landrat hätte das große Spiel um Willkür und Gerechtigkeit eröffnet.
Michael Heim
Es gibt noch eine Merkwürdigkeit zu berichten: Dass die Münchner Stadtwerke über ihre Hangquellen oberhalb der Mangfall Wasser beziehen, das in Wirklichkeit aus dem Isartal kommen könnte – über verschüttete Gletscher-Abflussrinnen, zu der auch der Teufelsgraben bei Holzkirchen gehört. Wenn die These stimmt, müssten die Wasserschutzzonen für die Mangfall in einem anderen Licht erscheinen. Mehr dazu in der TTAusgabe 162 (Herbst 2015).