Leider ist dieses Gemälde verloren. Zu sehen ist in der Ausstellung jedoch eine Ikone bayerischer Landschaftsmalerei: der Blick über St. Quirin ins Tegernseer Tal von Johann Georg von Dillis (ansonsten in der Neuen Pinakothek). Der Maler schenkte das Bild dem König zu seinem Namenstag am 12. Oktober 1825. Max I. Joseph war angeblich zu Tränen gerührt und stand »lange und in tiefer Wehmuth vor dem Bilde«. In der Nacht darauf starb er.
In der Folgezeit gehörte das Tegernseer Tal zu den geradezu unausweichlichen Motiven, wenn es galt, Bayerns schönste Plätze darzustellen. Das beweist ein Kaffeeservice aus der königlichen Porzellanmanufaktur Nymphenburg um 1850. Die Kaffeekanne als das zweifellos wichtigste Stück trägt fein gemalte Ansichten von Schloss Tegernsee und Wildbad Kreuth. Und noch um 1900 boten die damals beliebten Panoramen natürlich einen Blick ins Tegernseer Tal, nun mittels Stereoskop- Aufnahmen sogar mit dreidimensionalem Effekt.
Dass das Tegernseer Tal bei der Entwicklung und Popularisierung »der« typisch bayerischen Tracht und der Volksmusik eine große Rolle gespielt hat, muss man Leserinnen und Lesern unserer Zeitschrift nicht näher erklären. Das erfahren sie regelmäßig aus der Feder von Beni Eisenburg. Dass die Rolle des »Volkstheaters « für das Bayern-Bild in der Ausstellung anhand des Berchtesgadener Bauerntheaters und nicht am Beispiel der Tegernseer Bühne erläutert wird, sei den östlichen Nachbarn von Herzen gegönnt.
Betrachtet man Größen der bayerischen Literatur, die um 1900 das Bild Bayerns in Deutschland geprägt haben, so stammte Ludwig Thoma zwar aus der Nähe von Oberammergau und Ludwig Ganghofer aus Kaufbeuren, aber »gelandet« sind beide (früher oder später) am Tegernsee. Man kann ihnen heute lebensgroß und in Bronze im Kurpark von Rottach-Egern begegnen oder ihre (direkt benachbarten) Gräber auf dem Egerner Kirchenfriedhof besuchen. Als 25-Jähriger ließ Ganghofer sich in Jägermontur vor einem gemalten Gebirgshintergrund ablichten – im Münchner Foto- Atelier von Otto Reitmayer, dessen Sohn Josef ab 1884 in Tegernsee ebensolche Fotos von Einheimischen und (vor allem) Urlaubern machte. Der Bildbestand seines Ateliers konnte (wie in unserem Heft 165 zu lesen) jüngst für die Öffentlichkeit gerettet und heuer in Auswahl im Museum Tegernseer Tal besichtigt werden.
Damit sind wir schließlich beim Thema Fremdenverkehr, der unser Tal seit fast zwei Jahrhunderten mehr beeinflusst als alles andere. Mit all seinen Vorteilen und Belastungen ist er ein fast durchgehendes Thema unserer Zeitschrift. Dazu gehört auch die Frage nach dem Verhältnis von Selbstbild und Fremdbild. Will sagen: Wissen wir selber wirklich, was »echt«, angeblich uralt und »typisch bayerisch« ist? Oder sind wir nicht längst von dem beeinflusst, was die »anderen « für »typisch bayerisch« halten und von uns erwarten? Und wer sind eigentlich »wir« und die »anderen«? Einfache Antworten auf diese Fragen gibt es wohl nicht – ebenso wie auf die Frage »Welche Art von Natur hätten wir denn gern?«, zu der es in unserem letzten Heft (Nr. 167) Bedenkenswertes zu lesen gab.
Klar scheint jedenfalls: »Bayern ist einzigartig.« Mit dieser Aussage beginnt der bayerische Ministerpräsident Markus Söder sein Grußwort zum Ausstellungskatalog. Inwieweit diese Einzigartigkeit eine Leistung der Staatsregierung ist, darüber darf im Vorfeld der Landtagswahl gerne jede(r) selber nachdenken. Unbestreitbar aber ist es Bayern gelungen, sich auf nationaler und internationaler Ebene unverwechselbar zu machen. Im Zeitalter der Globalisierung ist eine solche Corporate Identity ein unschätzbarer Vorteil. Da nimmt man es dann auch in Kauf, dass Bayerns Vielfalt und Vielschichtigkeit oft auf Berge, Seen, Bier und Königsschlösser reduziert wird.
Für das bayerische Oberland (und speziell für das Tegernseer Tal) muss das kein Problem sein; denn bei uns sieht es ja »wirklich« aus wie im Bayern-Bildband, (ober)bayerische Tracht und Musik sind maßgeblich hier geprägt worden. So wäre es schon ungeschickt, wenn die »Tegernseer Tal Tourismus GmbH« oder die »Naturkäserei TegernseerLand eG«, wenn sie auf Touristik-Messen oder auf der Grünen Woche in Berlin das Tal repräsentieren, nicht auf Tracht, Blasmusik und traumhafte Landschaftsaufnahmen im Großformat setzen würden. Den (niederbayerischen) Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte, Richard Loibl, dagegen überkam – wie er im einleitenden Essay zum Ausstellungskatalog gesteht – angesichts dessen anfänglich ein »Fluchtreflex«, den er allerdings erfolgreich unterdrücken konnte.
Die Ausstellung in Ettal ist noch bis zum 4. November täglich von 9 bis 18 Uhr zu sehen. Der Katalog kann auch über den Buchhandel bezogen werden.
Informationen unter: www.hdbg.de
Wer mit unserem Autor Roland Götz in Tegernsee auf Spurensuche gehen will, dem sei der 6. Oktober ans Herz gelegt. An diesem Tag hält er um 16 Uhr im Museum Tegernseer Tal einen Vortrag mit Führung zum Thema »Mythos Bayern am Tegernsee«. Anmeldungen nimmt die VHS Tegernsee entgegen
(Tel. 08022/1313, www.vhs-imtal.de).
Man sieht: Aus der Perspektive des Tegernseer Tals kann man mit der heurigen Landesausstellung wunderbar in einen Dialog treten und sich Gedanken zu vielen Themen machen, die uns hier betreffen. Das lohnt einen Ausflug nach Ettal allemal.
Aber man kann auch (zusätzlich) das Museum Tegernseer Tal besuchen, wo es an vielen Stellen gerade darum geht, was »typisch bayerisch« ist. Oder man nimmt die jüngsten Publikationen der beiden Tegernseer Museen (»Das Königliche Tal« und »Trügerische Idylle«) zur Hand. Oder: Man folgt den Hinweisen in diesem Beitrag und liest in unserer Zeitschrift nach. Denn für den »Mythos Bayern« sind wir wirklich Spezialisten.
Roland Götz