In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Einsätze für die Bergwacht im Tegernseer Tal verdoppelt. Wie sich die Bereitschaft um Adi Boemmel organisatorisch und technisch für die Zukunft wappnet.

Retten am Limit

von Sofia Seethaler-Obermaier

Ein abgestürzter Kletterer, ein verunfallter Gleitschirmflieger oder ein Lawinenunglück: Wenn die Bergwacht gerufen wird, zählt jede Minute. Die Einsatzstelle des Tegernseer Tals deckt eines der größten (und am stärksten frequentierten) Dienstgebiete Bayerns ab – da sind gute Organisation und Teamarbeit gefragt. Dass die hochprofessionelle und oft belastende Arbeit am Berg ehrenamtlich geschieht, ist dabei vielen Outdoorfans gar nicht bewusst. 

Wappen der Bergwacht Bayern

Ein schrilles Pfeifen durchdringt den Raum. Jetzt muss es schnell gehen: Wenn der Piepser sich meldet, haben Adi Boemmel und seine Kollegen genau zwei Minuten Zeit, sich bei der Einsatzleitstelle in Rosenheim zu melden – dort laufen alle Fäden zusammen. »Meist wählen Verunglückte die 112. Die Einsatzleistelle entscheidet dann, ob es ein Fall für die Bergrettung ist und kontaktiert uns. Dort werden auch Rettungsmittel für uns organisiert, wenn wir beispielsweise einen Hubschrauber aus Murnau oder Lawinenhunde brauchen«, erklärt Adi Boemmel (55), Bereitschaftsleiter der Bergwacht Rottach-Egern/Tegernseer Tal. Wer gerade Dienst hat, trifft sich anschließend in der Wache in Rottach-Kalkofen, wo Einsatzfahrzeuge wie Pinzgauer, Quad, Yeti oder der Mannschaftsbus stationiert sind. »Wir packen dann gemeinsam die notwendige Ausrüstung ins Auto und starten von dort den Einsatz. Einer bleibt am Funk, einer in der Wache. Außerdem gibt es einen Fahrer, Beifahrer und je nach Meldebild noch weitere Helfer.«

Jetzt kommt es darauf an, wie weit das Team fahren kann oder ob es zu Fuß an den Ort des Unglücks steigen oder gar klettern muss. Dann kann es auch mal bis zu eineinhalb Stunden dauern. Schließlich deckt die Rottacher Bergwacht, die bereits 1923 gegründet wurde, eines der größten Dienstgebiete Bayerns ab: Von den Blaubergen über Kampen, Rechelkopf, Sigritzalm bis hin zu Ödberg, Neureuth, Stümpfling und Bodenschneid. Nicht selten kommt dann eine Rückmeldung vom Verunglückten »Wo bleibt’s denn so lang?«. Adi Boemmel erzählt schmunzelnd: »Wir nennen das die Vollkasko-Mentalität. Heutzutage erwarten die Leute oft, dass sie sofort versorgt werden. Gerade unter der Woche, wenn die Wache nicht besetzt ist, kann es aber auch mal etwas länger dauern bis alle in der Wache sind, schließlich sind alle Kollegen berufstätig.«

Nicht die einzige Problematik, mit der die Bergwachtler heutzutage mehr als früher zu kämpfen haben: In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Einsätze verdoppelt. Früher waren es im Jahr um die 100, jetzt sind es um die 200 – mindestens jeden zweiten Tag einer. »Tourismus und Freizeitverhalten haben sich stark verändert«, berichtet der gebürtige Tegernseer. »Vormittags unter der Woche hat man früher niemanden auf Skitour getroffen, heute sind die Sportler zu jeder Tages- und Nachtzeit unterwegs. Die Leute sind mobiler geworden, sie fahren manchmal auch noch nach Feierabend aus München raus und gehen abends noch auf den Berg, das hat es früher nicht gegeben.« Das Resultat: Auch unter der Woche muss jederzeit mit einem Einsatz gerechnet werden.

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Fotos von der Bergwacht Rottach-Egern im Einsatz
Kein Spaziergang: Wer die Einsatzbilder sieht, versteht, warum den ehrenamtlichen Bergrettern in der Ausbildung so viel abverlangt wird – Hubschraubereinsatz, winterliche Bergung an den Rauheckalmen, Nachtsuche im Wallberggebiet.

Fotos: Bergwacht Rottach-Egern