Kultur
Seite   <   1   2
Schneiderei in der Pariser Oper
„Ich bin da mit meiner Joppe hin, die haben gesehen, was wir machen, und mich gleich genommen.“ VERENA ROTTENSTEINER

Die englischen Tailors mussten nicht lange überlegen, als sich Verena Rottensteiner bei ihnen vorstellte: „Ich bin da im zweiten Gesellenjahr mit meiner Joppe hin, die haben gesehen, was wir machen, und mich gleich genommen.“ Drei Monate blieb die Kreutherin in London. „Die Herrenschneider in der Savile Row sind bekannt für ihre Anproben, das Ausmessen und die Mustererstellung. Ich war vor allem mit den Zuschnitten beschäftigt.“ Der Fortbildungsaufenthalt öffnete die Türe zum nächsten Abenteuer: Im Studentenwohnheim lernt die junge Bayerin einen Franzosen kennen und folgt ihm nach Paris: „Dort hörte ich, dass in der Oper Herrenschneider für Kostüme gesucht werden. Ich habe meine Joppe eingepackt und bin hin. Es hat wieder sofort geklappt.“ Inzwischen pendelt die Kreutherin zwischen dem Familienbetrieb am Mühlauerweg und der Oper an der Seine hin und her. „Wenn keine Pandemie herrscht, bin ich normalerweise drei bis vier Monate drüben. Meistens muss ich dort moderne Anzüge für die Solisten oder den Chor schneidern, manchmal aber auch historische Kostüme. Für Don Carlos haben wir ganz außergewöhnliche Kreationen mit ganz viel Tüll am Kragen umgesetzt. Das ist handwerklich sehr anspruchsvoll.“ Bei einem der vielen Pariser Haute- Couture-Ateliers von Chanel oder Dior zu arbeiten, interessiert die Kreutherin nicht. „Ich habe gehört, dass es dort sehr stressig zugeht. Bei der Oper bekommt man mehr Zeit, und es war immer mein Traum, dort zu arbeiten.“

Wenn Verena in Paris ist, fehlt sie natürlich daheim im Atelier. Deshalb unterhalten die Winklers einen konkreten Jahresplan. „Wir wollen vermeiden, dass unsere Mutter ganz alleine mit unserer Angestellten ist.“ Bis vor einem Dreivierteljahr war noch der Seniorchef, Sepp Winkler, der dritte Eigentümer in der Ahnen-Abfolge, fest dabei. Doch seit einem Knochenbruch im vergangenen Jahr fällt Sepp senior (der als feiner Musikant, u.a. mit seiner Kreuther Klarinettenmusi, einen ähnlichen Bekanntheitsgrad genießt wie als Schneider) leider aus. Dass der Enkel, Josef Rottensteiner (der vierte Josef) seit Ende Februar 2021 nun seinen Meister in der Tasche hat, ist deshalb sehr willkommen. Der heute 23-jährige hat ebenfalls bei Kent & Haste in London ein Praktikum absolviert. Neben den Zuschnitten wollte der Winkler-Nachkomme auch nähen. „In der Savile Row wird nur gemessen und geschnitten. Den Rest erledigen die darauf spezialisierten Griechen in der Carnaby Street. Die können das richtig gut. Ich habe selbst dort eine Woche ausgeholfen.“ Verglichen mit diesem Outsourcing eines wichtigen Fertigungsschritts innerhalb der englischen Herrenschneiderkunst, bekommt man in Kreuth sogar mehr Meister-Handwerk als in der Savile Row geboten, denn bei den Winklers/Rottensteiners nähen die Chefs noch selbst. Das war schon immer so und soll auch so bleiben.  

Hier geht es noch weiter. Den ganzen Artikel über die Geschwister Rottensteiner und ihre Pläne lesen Sie in Heft 174.

Seite   <   1   2