Der Traum vom eigenen Jodbad am Schliersee – oder:
Wie Bad Wiessee zu dem heilkräftigen Wasser kam, das ihm Weltruhm verlieh, ist bekannt: Der Zufall führte Regie. Dass die Erfolgsstory vom Tegernsee auch eine Gemeinde am Schliersee hoffen ließ, wissen dagegen nur wenige. Die ebenso hartnäckige wie letztlich erfolglose Quellensuche bei unseren Nachbarn jenseits der Neureuth entbehrt nicht einer gewissen Tragik. In Zeiten, in denen eine geplante Neugestaltung des Jod-Schwefelbades die Schlagzeilen bestimmt, sind die Schlierseer Erfahrungen aber auch eine Mahnung: Gebt auf Eure Quelle acht.
Bad Heilbrunn, Bad Tölz, Bad Wiessee – wie an einer Perlenschnur ziehen sich die Heilbäder im Alpenvorland von West nach Ost. Schuld an den mineralienreichen Schätzen in der Tiefe ist die Geologie. »Die Jodquellen in Bayern sind häufig an die Überschiebungsbahnen der alpidischen Decken auf die Vorlandmolasse gebunden«, heißt das fachsprachlich. Wo sich vor Urzeiten der Boden des einstigen Urmeers auffaltete und verschob, konnte durch die zerborstenen Gesteinsschichten Wasser aufsteigen. Wasser, das aufgrund der Meeressedimente mit ihren organischen Anteilen reich an Mineralien wie Jod war. Wer auf einen solchen Bodenschatz stieß, konnte sich glücklich schätzen: Das Heilwasser aus den Quellen der schon 1860 gegründeten Jodquellen AG führte zum gesellschaftlichen und finanziellen Aufstieg von Tölz. Noch früher war man im weiter westlich gelegen heutigen Bad Heilbrunn aktiv, dessen ebenfalls jod- und salzhaltige Quellen wohl schon in keltischer Zeit bekannt waren.
Anno 1909 stieß man auch am Westufer des Tegernsees auf eine solche Quelle. Regie führte der Zufall: Eigentlich hatte man Erdöl gesucht, doch statt des erhofften Petroleums sprudelte aus Bohrloch III plötzlich lauwarmes Wasser, das zu allem Überfluss auch noch intensiv nach faulen Eiern roch. Die übel riechenden Gase »erfüllten das Tal bis in die Höhe des Wallbergs«, so ein Chronist. Ein stinkendes Bächlein rann vom Bohrturm hinab in den See – immerhin 600 Liter pro Minute. Die Entdeckung stieß, gelinde ausgedrückt, auf wenig Begeisterung. Im Tal stank's, den Einwohnern ebenso, man fürchtete um den aufkommenden Fremdenverkehr und das Leben der Fische.
Auch Schliersee wollte zunächst etwas ganz anderes: Im Jahr 1924 ersuchte die Marktgemeinde das Bayerische Oberbergamt in München um eine Genehmigung zum Aufsuchen von Fundstätten und zur Gewinnung von Eisen- und Manganerzen sowie von Graphit und Braunkohle. Dem Antrag wird stattgegeben, die Gemeinde Schliersee erhält das Recht, auf einer 200 Hektar großen Fläche bis in eine Tiefe von 600 Metern nach diesen Erzen zu bohren.
Doch dann findet sich in den Akten des Oberbergamts (Bayer. Hauptstaatsarchiv – BMWI 4149) folgender Bericht: »Am 26. Dez. 1924 teilte der Inhaber der Firma Gall Wasserversorgung Rimsting, Herr Ing. Johann Gall, dem Bürgermeister im Beisein des Ortspflegers Josef Heckmair mit, dass er vor einiger Zeit mit dem bekannten Wünschelrutengänger, Herrn Eisenbahnoberingenieur Kittemann aus Nürnberg, (…) am Schliersee entlang gefahren sei, wobei Herr Georg Kittemann zufällig die Wünschelrute in die Hand genommen habe, die einen ihm bis dahin nicht bekannten Ausschlag zeigte. Herr Kittemann ließ es sich nun angelegen sein, sich darüber Gewissheit zu verschaffen. Er hatte die Vermutung, dass es sich um irgendein Mineral handle, genau wie in Tölz, Wiessee und anderen Orten. Er stellte mit aller Bestimmtheit fest, dass die Wünschelrute bei den dortigen Jodquellen genau den gleichen Ausschlag zeigte. Es wurde dabei ein Punkt am rechten Ufer des Spießbaches als geeignetste Bohrstelle bestimmt.«
Am 19. Februar 1925 begab sich der 1. Bürgermeister zum Bezirksamt Miesbach und reichte ein Gesuch um Genehmigung der Vornahme der Bohrarbeiten ein. Vom Ingenieurbüro Gall forderte man schriftliche Gutachten eines Wünschelrutengängers und eines Geologen an. Die Unterlagen überzeugten: Am 4. März beschloss der Marktgemeinderat einstimmig, mit dem Unternehmen aus Rimsting einen Vertrag abzuschließen. Einen Monat später trafen sich alle Verantwortlichen am Spießbach und wurden Zeuge, wie der Eisenbahnoberingenieur und Wünschelrutengänger Kittemann noch einmal exakt die Bohrstelle bestimmte. Doch Johann Gall wollte auf Nummer sicher gehen. Er beauftragte den unumstrittenen „Star“ der damaligen Wünschelruten-Forscherszene: Otto Edler von Graeve aus Gernrode am Harz. Gleichzeitig zog er mit Dr. Ing. Heinrich Stuchlik, kgl. Bergmeister in Traunstein, einen namhaften Geologen hinzu.