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In dieser sich dramatisch zuspitzenden Situation wurde Frei von den Gemeindevertretern händeringend bestürmt, seine Mission weiterzuführen. Im Lazarett des Tegernseer Schlosses trafen sich einige höhere Sanitätsoffiziere und konnten ermitteln, dass die deutschen Verbände dem Befehl von SS-Oberführer Borchmann unterstanden, dem Range nach Generalleutnant. Er baute seinen Gefechtsstand in Glashütte auf. In einem der Lazarette war auch einer der größten Kriegshelden, General Adolf Galland, Träger des Ritterkreuzes mit Brillanten, Eichenlaub und Schwertern. Der berühmte Jagdflieger gab Konsul Frei ein Empfehlungsschreiben, mit dem dieser sich in Begleitung des bekannten Chirurgen Professor Dr. Frey, der mit Teilen der Universitätsklinik München ebenfalls im Schloss evakuiert war, nach Glashütte aufmachte. Doch der „Sanka" mit dem Rot-Kreuz-Emblem blieb bei Bayerwald im Schnee stecken. Prof. Frey musste dringend zu einer Operation zurück, so dass dieser Versuch abgebrochen werden musste. Mit einem anderen, schweren Wagen, den sich Frei in Rottach auslieh, gelang dann der „Durchbruch“ nach Glashütte. Dort musste der Schweizer all sein diplomatisches Geschick aufbieten, um SS-General Borchmann zu bewegen, seine Verbände in das Kreuther Tal zurückzunehmen. Dies geschah schließlich in der Nacht vom 3. zum 4. Mai, nachdem das Artillerieduell den ganzen Tag über angedauert hatte. Nun galt es, wiederum die Amerikaner vom geplanten Rückzug der SS-Verbände zu verständigen. Für diese Mission boten sich Stabsarzt Dr. Karl Friedrich Scheid und Oberleutnant Franz Heiß aus Tegernsee an. Sie wurden begleitet von Dr. Fritz Winter aus der Familie Slezak als Dolmetscher. Mit einem Rotkreuzwagen fuhren sie bis zur gesprengten Breitenbachbrücke und setzten ihren Weg dann zu Fuß fort. Trotz ihrer weißen Parlamentär-Flagge wurden sie zwischen den Linien von hinten unter MG-Feuer genommen. Dabei erlitt Dr. Scheid einen Lungenschuss, Franz Heiß kam mit einem Beinschuss noch glimpflich davon, während Dr. Winter nur noch schwache Lebenszeichen von sich gab, als die drei endlich bei den US-Posten ankamen. Dr. Winter und Franz Heiß konnten ihre Mission gerade noch rechtzeitig erfüllen. In ihrem Beisein telefonierte Major Evans um drei Uhr des jungen 4. Mai mit dem Chef der Bombereinheit, die bei Tagesanbruch aufsteigen sollte, um Tegernsee, Bad Wiessee und Rottach-Egern auszulöschen. Der Angriff aus der Luft wurde in letzter Stunde abgeblasen.

Die Parlamentäre Franz Heiss, Dr. Karl Friedrich Scheid und Dr. Fritz Winter
Die Parlamentäre Franz Heiß, Dr. Karl Friedrich Scheid und Dr. Fritz Winter

Weil man davon im Krisenstab, der sich im Generalkonsulat zusammengefunden hatte und auf Nachricht von den Parlamentären um Dr. Scheid wartete, nichts ahnen konnte, wurde nochmals eine Parlamentärdelegation gebildet. Sie bestand aus dem Tegernseer Bürgermeister Müller, Major von Lüttichau, Patient im Reservelazarett Tegernsee, und einem Dolmetscher namens Neudörfer. Die Gruppe erreichte ebenfalls noch in der Nacht die amerikanischen Panzerspitzen. In den Morgenstunden des 4. Mai rückten die ersten Panzer der Amerikaner in die drei Orte ein. Vorher hatten beherzte Männer noch Baumsperren beseitigt und die Sprengung der Rottach-Brücke verhindert.

Hinten im Kreuther Tal ging der Krieg schließlich zu Ende. Als wollten sie das Dorf als Geisel nehmen, hatten SS-Einheiten noch einmal zwölf Granatwerfer auf der Wiese zwischen der Kreuther Kirche und dem Schulhaus aufgestellt. Pfarrer Engelmann konnte in stundenlangen Verhandlungen im Postamt erreichen, dass die Hauptkampflinie nach Süden, nach Wildbad Kreuth verlegt und Dorf Kreuth zum Lazarettort erklärt wird. Dennoch kam es noch zu Artillerieduellen zwischen den langsam durch das Weißachtal vorrückenden Amerikanern und den Resten der SS-Division „Götz von Berlichingen“ im Wildbad, wo nach einem Volltreffer das „Posthaus“ der Wittelsbacher in Flammen aufging. Vor einer Straßensperre geriet ein amerikanischer Panzerspähwagen nach einem Treffer in Brand. Dann ist es vorbei. Zwischen Weißach und Scharling türmen sich Kriegsmaterial und Munition. Tausende von Gefangenen warten auf den Wiesen von Weißach auf ihren Abtransport. Wer im bayerisch-tirolerischen Raum zu Hause ist, macht sich über die verschneiten Berge aus dem Staub.

Ehrentafel am Ortsausgang von Bad Wiessee zur Erinnerung an die drei Parlamentäre


Die Schutzengel hatten geholfen. Zwei von ihnen bezahlten ihre Mission mit dem Leben. Dr. Karl Friedrich Scheid starb noch am 4. Mai, morgens um 4.30 Uhr in einem Lazarett in Bad Tölz an den Folgen seiner Verletzung. Von Dr. Paul Winter fehlt jede Spur. Er hat seine Mission wohl nur um Stunden überlebt. Die „Dr.-Scheid-Straße" und die „Dr.-Winter-Anlage" an der Ganghoferstraße zu Rottach-Egern erinnern an die beiden. Die Stadt München ehrte den hervorragenden Arzt und Wissenschaftler Dr. Scheid, der am Schwabinger Krankenhaus in der ehemaligen Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie (einst Kaiser-Wilhelm-Institut, jetzt Max-Planck-Institut) wirkte, auf besondere Weise. Der unmittelbar am Schwabinger Krankenhaus gelegene Platz trägt seinen Namen.

Dr. Paul Frei wurde von der Gemeinde Rottach-Egern 1955 das Ehrenbürgerrecht verliehen. Seine Bronzebüste, geschaffen von Professor Arno Breker, steht im Foyer des Seeforums.

Text: Hans Sollacher (1985)
Fotos und Bildmaterial: Archiv TEGERNSEER TAL Verlag, Museum Tegernseer Tal, Karl Roßkopf

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